SCHEIDGEN MARKTFOKUS Mai 2023
Neuwied, 01. Juni 2023
"Sell in may and go away?"
Sehr geehrte/r Kundin/Kunde,
eine alte Börsenweisheit besagt, dass man Aktien im Mai verkaufen und sich von den Märkten verabschieden sollte. Tatsächlich ist das Halbjahr von November bis April statistisch gesehen ertragreicher als das von Mai bis Oktober.
Und Börsianer lieben Statistiken. Nun ist der Monat des alten Zyklus vorbei. Trotz der Probleme im Bankensektor, des Streits um die Schuldenobergrenze im US-Haushalt und der sich weiter abschwächenden Weltkonjunktur und des Krieges in der Ukraine zeigten sich die Aktienkurse auch im Mai relativ stabil.
Alle Angaben in Landeswährung - Quellen:Fonds professionell, Onvista
Die folgende Kursgrafik der letzten fünf Jahre zeigt die Entwicklung des bekannten S&P-500 Index im Vergleich zum Russell-2000 Index, der das gesamte Spektrum der amerikanischen Aktien abdeckt. In der Regel verlaufen die beiden Kurven parallel. Dies ist eine gesunde Entwicklung, wenn sich die verschiedenen Sektoren des Marktes im Gleichschritt bewegen. Bereits vor der kurzen Covid-Rezession war dieses Bild gestört. Offensichtlich wurde die wirtschaftliche Entwicklung der kleineren Unternehmen schlechter eingeschätzt als die der großen. Mit Covid-19 hat sich diese Entwicklung beschleunigt und scheint im Mai 2023 auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern. Gemessen am Russell-2000 Index konnten sich die Kurse nicht wesentlich von den letztjährigen Tiefstständen lösen. Diese Entwicklung spricht nicht für den Beginn eines neuen oder die Fortsetzung des alten Aufschwungs an den Aktienmärkten, der Anfang 2022 zu Ende ging.
(Grafik: S&P 500 versus Russell 2000 Index, Quelle Comdirect)
Der Aktienkurs des Grafikkartenherstellers Nvidia - siehe den folgenden Chart - hat sich in den letzten 10 Jahren mehr als verhundertfacht. Bis 2018 ging es stetig, aber langsam bergauf. Danach folgte eine zweijährige Schwächephase, die den Anlegern viel Geduld abverlangte. Der mit Covid-19 einsetzende Aufschwung im Technologiesektor führte zu einem fulminanten Kursanstieg der Nvidia-Aktie, der bis Ende 2021 anhielt. Danach verlor die Aktie 75 % ihres Wertes, um in den letzten sechs Monaten eine kometenhafte Wiederauferstehung zu feiern. Im Zuge des Hypes um die neuen Anwendungsmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz beschleunigte sich diese Entwicklung und gipfelte in einer Kursexplosion von 26 % an einem Tag in der vergangenen Woche, an dem Nvidia über den Erwartungen liegende Ergebnisse bekannt gab. An diesem Tag stieg die Marktkapitalisierung, d. h. der Wert aller Aktien, um 187 Mrd. USD. In der Liste der wertvollsten Aktien der Welt liegt Nvida auf Platz 6 hinter Apple, Microsoft, Alphabet und Amazon. Lediglich der saudi-arabische Ölkonzern Saudi Aramco durchbricht die Dominanz der US-Konzerne mit Platz 3.
(Grafik: Nvidia-Aktie, Quelle Comdirect)
Die Kursgewinne der letzten Wochen gehen fast ausschließlich auf das Konto der großen Technologiekonzerne. Ende der 60er Jahre gab es eine ähnliche Konzentration auf wenige Titel. Die führenden Unternehmen waren damals Xerox, Polaroid, IBM und Disney. Im Jahr 2000, im Zuge des Internet-Hypes, standen Unternehmen wie Cisco, Intel und Nokia an der Spitze. In den meisten dieser Fälle verlieren Anleger einen Großteil ihres eingesetzten Kapitals, wenn sie zum falschen Zeitpunkt in hoch bewertete Aktien investieren. Der Nasdaq-Index für amerikanische Technologiewerte stieg in diesem Jahr um 25 Prozent. Am Tag der Kursexplosion der Nvida-Aktie gab es dreimal so viele Aktien mit neuen 52-Wochen-Tiefs wie Aktien mit neuen Höchstständen. Unter diesen Umständen kann nicht von einem stabilen Aufwärtstrend gesprochen werden. Nachfolgend ist die Kursentwicklung des Nasdaq-Index über die letzten 30 Jahre dargestellt. Trotz der jüngsten Kursgewinne erscheint der Index nach wie vor angeschlagen.
(Grafik: Nasdaq Composite Index, Quelle Comdirect)
Die Mai-Regel hat wohl eher psychologische Gründe. Im Mai ist das laufende Jahr in den Köpfen der Börsianer bereits abgehakt. Spätestens im November werden die Weichen für das kommende Jahr gestellt. Die Unternehmen und die Börsen sind die Träger der Hoffnung und des Glaubens an die Zukunft. Stehen die Zeichen schlecht, kann es nur besser werden, stehen sie gut, werden Zukunftspläne geschmiedet. Langfristig orientieren sich die Börsen an den Fundamentaldaten. Nimmt man die aktuellen Fakten, die sich aus einem historisch einmaligen Zinsanstieg, dem Verhältnis von kurz- und langfristigen Zinsen, den Finanzierungsbedingungen für die Kreditaufnahme, der offensichtlichen Anfälligkeit des Bankensektors und diversen konjunkturellen Frühindikatoren zusammensetzen, dann stehen die Börsenampeln nicht auf hellgelb, sondern auf dunkelgelb. Unter diesen Umständen spricht vieles dafür, dass die Mai-Regel ihre Prognosefähigkeit auch in diesem Jahr unter Beweis stellen kann.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Michael Scheidgen
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Telefon: 02631/953960
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