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Das neue Kriterium „Nachhaltigkeit“ in der Finanzberatung

Seit 2. August 2022 werden die für Anlageempfehlungen maßgeblichen Faktoren von Sicherheit, Liquidität, Rendite um den Punkt „Nachhaltigkeit“ ergänzt, der sich unter dem Begriff ESG zusammenfassen lässt. Die Abkürzung ESG steht dabei für die drei Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Government). Die Probleme der Umwelt (Klimaerwärmung, Artensterben und die Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft und viele andere) gelten als wissenschaftlich abgesichert und geraten nun durch die zunehmende Anzahl und Schwere von Naturkatastrophen in den Blickpunkt, die ein rasches wirtschaftliches und gesellschaftliches Umdenken erforderlich machen.

Quelle: Das magische Viereck der nachhaltigen Geldanlage, Christopher Klein

In der globalen Wirtschaft haben sich zusätzlich in den letzten Jahrzehnten zunehmende Ungleichgewichte in der Verteilung von Einkommen und Vermögen ergeben, die soziale Konflikte und gesellschaftliche Risiken mit sich bringen. Mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen auf unserer Erde droht eine Verschärfung der sozialen Fragen. Offene Gesellschaften und Demokratien stehen in diesen Kontexten unter zunehmendem Druck. Die Finanzmärkte sind ein wichtiger Bestandteil dieses Transformationsprozesses, der Gesellschaft und Umwelt wieder mehr miteinander versöhnen sollte. In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein vieler Marktteilnehmer grundlegend gewandelt. Die nun gesetzlichen Regelungen systematisieren den Handlungsrahmen für Unternehmen, Banken und Kapitalmärkte.

Die globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Die Basis für einen Ressourcen schonenden Umbau der Wirtschaft, zu mehr gesellschaftlicher und sozialer Teilhabe, die Bewahrung des Friedens und ein gemeinschaftliches Miteinander zur Lösung der drängenden Probleme wurde bereits 2015 mit der Verabschiedung der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, der Sustainable Development Goals (SDG`s), gelegt.

Diese Ziele werden nun im unternehmerischen und auch im gesellschaftlichen Kontext zunehmend konkret messbar. Wir stehen aber erst am Anfang der praktischen Umsetzung, sodass die Berücksichtigung in der Finanzberatung aufgrund fehlender Daten noch lückenhaft erscheint. Die gesetzlichen Vorgaben werden in den kommenden Monaten weiter mit Leben gefüllt. Zunächst konzentriert sich die Beratung zum Thema Nachhaltigkeit und ESG im Wesentlichen auf das Thema Umwelt („E“).

Ihr persönliches Verhältnis zum Thema Nachhaltigkeit

Ihre persönliche Einstellung zur ökologischen Nachhaltigkeit – zum Beispiel Konsumverhalten, Ernährung, Energie, Mobilität und Engagement für die Umwelt – geben erste Hinweise darauf, inwieweit Sie auch Anlageentscheidungen unter diesen Gesichtspunkten treffen möchten. Wir werden dies in einem gemeinsamen Strategiegespräch unter der Berücksichtigung der bisher definierten Faktoren Sicherheit, Liquidität und Rendite erörtern und vereinbaren.

Quelle: Thomas Brudermann, „Die Kunst der Ausrede“, oekom verlag

Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen

Die neuen gesetzlichen Regelungen sind sehr komplex und bisweilen noch nicht praxistauglich. Sie sind jedoch ein erster Versuch, ein bereits weit fortgeschrittenes Projekt auf den Weg zu bringen. Mit dem Ziel, Investitionen in nachhaltiges Wachstum zu fördern, definiert der Gesetzgeber drei Bereiche, die in der Formulierung einer individuellen ESG-Anlagestrategie kombiniert werden können.

1. Die EU-Taxonomie

Seit dem Jahr 2022 greift im Rahmen des Green Deals der EU als ein zentraler Baustein die EU-Taxonomie-Verordnung.

Die Verordnung wurde 2020 von der Europäischen Kommission verabschiedet. Sie ist Bestandteil des „Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“, den die EU-Kommission im März 2018 vorgestellte. Dieser soll Kapitalflüsse in ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten lenken. Erste Anforderungen der EU-Taxonomie gelten seit dem 1. Januar 2022.

Sie soll die Reduzierung umweltschädlicher Treibhausgase vorantreiben: Um eine deutliche Absenkung des CO2-Ausstosses zu erreichen, ist ein klimafreundlicher Umbau sämtlicher Wirtschaftssektoren notwendig. Die EU-Taxonomie soll mehr private Investitionen in dieses Vorhaben lenken. Damit wird Nachhaltigkeit zu einem Kriterium des Risikomanagements in der Finanzwirtschaft.

Wie funktioniert die EU-Taxonomie? Die EU-Taxonomie bezieht sich auf sämtliche Wirtschaftsbereiche. Sie legt ein Regelwerk für klima- und umweltfreundliche Tätigkeiten und Investitionen fest und hat dafür sechs Klima- und Umweltschutzziele herausgearbeitet:

 Quelle: EU-Taxonomie Info

Als taxonomiekonform gilt eine Aktivität dann, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen von mindestens einem dieser Ziele leistet und keines der anderen Ziele wesentlich beeinträchtigt. Zudem muss sie internationalen Standards, zum Beispiel in Bezug auf Menschenrechte und Soziales, Genüge tun.

Derzeit arbeitet die EU noch an den konkreten Bewertungskriterien für Unternehmensaktivitäten in Bezug auf die sechs Klima- und Umweltschutzziele. Bislang wurden die Bewertungskriterien für die beiden Umweltziele "Klimaschutz" (Treibhausgasvermeidung) und "Anpassung an den Klimawandel" ausgearbeitet und zum 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt.

2. Die EU- Offenlegungsverordnung (EU 2019/2088)

Ziel der Offenlegungsverordnung ist, dass Vermögensverwalter und Anlageberater transparent das Thema „Nachhaltigkeit von Finanzprodukten“ gegenüber Geldanlegern bzw. Kunden darstellen können. Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken unter Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen auf die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung werden in den Berichterstattungen der Unternehmen und in den Beschreibungen der Finanzinstrumente ein größeres Gewicht erhalten.

Die entscheidenden Artikel der Offenlegungsverordnung sind die Artikel 6, 8 und 9. Nach diesen Artikeln müssen die Fondsgesellschaften die Fonds in eine von drei Kategorien einstufen:

Artikel-6-Fonds:

Diese Fonds integrieren ESG-Merkmale gar nicht bis minimal in ihrer Anlagestrategie, man könnte sie als herkömmliche Fonds betiteln. Sie besitzen die Möglichkeit die ESG-Kriterien freiwillig zu integrieren, müssen jedoch ab 2022 über die negativen ESG-Auswirkungen Bericht erstatten. Zurzeit besteht noch ein großer Teil des Marktes aus diesen Fonds.

Artikel-8-Fonds:

Diese Fonds fördern systematisch und explizit in ihrem Investmentprozess die ESG-Merkmale der Kapitalanlage. Die angebotenen Finanzprodukte berücksichtigen ökologische und soziale Merkmale, sowie Aspekte einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung in ihrem Investmentprozess und stellen diese transparent dem Anleger zur Einsicht zur Verfügung.

Artikel-9-Fonds:

Die Fonds welche nach Artikel 9 kategorisiert werden, verfolgen ein klar ausweisbares und nachhaltiges Anlageziel. Die Informationen darüber werden dem Anleger von der Fondsgesellschaft transparent zur Verfügung gestellt.

Quelle: Fidelity

Die Offenlegungsverordnung definiert Standards für die Transparenz, nicht aber für die Qualität der Fonds im Hinblick auf die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Es gibt eine Vielzahl von Anbietern (zum Beispiel FNG-Siegel, Finanztest, EcoReporter, ÖkonInvest, Morningstar,) die Informationen über die Tiefe und Aufrichtigkeit von nachhaltigen Investmentstrategien sammeln und bewerten. Als deutsche Alternative zum geplanten EU-Ecolabel wurde von der Bundesregierung die Einführung einer „Nachhaltigkeitsampel“ für Finanzprodukte angekündigt. Die vorliegenden Informationen werden von mir ausgewertet und in den Empfehlungen im Rahmen der Referenzportfolio-Strategie berücksichtigt.

Als Beispiel sehen Sie die Kriterien für die Verleihung eines FNG (Forum Nachhaltiger Geldanlagen)-Siegels mit einem, zwei oder drei Sternen:

3. Die Offenlegung von „Principal Adverse Impacts“ (PAI’s)

Ergänzend müssen Fondsgesellschaften und Finanzberater die potenziell schädlichen Auswirkungen ihres Handels auf Umwelt und Gesellschaft abwägen. Sie müssen auch die Auswirkungen auf die von ihnen hergestellten und oder empfohlenen Finanzprodukte erläutern.

Die EU-Offenlegungsverordnung verpflichtet Unternehmen offen zu legen, ob Investitionen schädliche Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsindikationen wie beispielsweise Umwelt, Menschenrechte, Arbeitsnormen, Korruption oder umstrittene Waffen betreffen. Bei den PAI`s handelt es sich um 18 verpflichtende Leistungskennzahlen aus den Bereichen Umwelt und Soziales sowie weiteren freiwilligen ESG Indikatoren. Aussagen zu negativen Auswirkungen müssen von Unternehmen und Fondsgesellschaften unabhängig davon gemacht werden, ob Nachhaltigkeitsüberlegungen Teil der angegebenen Anlagestrategien sind.

Zusammenfassung:

Mit der Nachhaltigkeit ist ein weiterer wesentlicher und gesetzlich vorgeschriebener Aspekt in die Anlageberatung eingeflossen. Inwieweit dieser in Ihrer persönlichen Anlagestrategie unter Berücksichtigung der bisher maßgeblichen Faktoren Sicherheit, Liquidität und Rentabilität berücksichtigt werden soll, liegt in Ihrem Ermessen. Als Finanzdienstleister biete ich jedoch keine nachhaltigen Anlagekonzepte an oder bewerbe diese. Die damit verbundenen regulatorischen Standards und Bericht­er­stattungs­pflichten kann ich nicht erfüllen. In meinem Referenzportfolio befinden sich auch Fonds nach Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung. Bei der Auswahl meiner Empfehlungen spielt das Kriterium Nachhaltigkeit jedoch keine Rolle. Sofern Sie eine Beratung unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 8 oder 9 Fonds wünschen, kann diese im Rahmen einer individuellen zu dokumentierten Anlageberatung erfolgen.